Gemma Ragués Pujol (composer)
Sun 04.02., 14:30 CET
Musicologist Michael Zwenzner in conversation with Gemma Ragués Pujol.
MZ: Meine erste Bitte wäre, das Du Dich kurz vorstellst? Das wäre als Einstieg ins unser Gespräch wunderbar.
GRP: Ich bin Gemma Ragués Pujol und ich bin Komponistin, Autorin und Performerin. Und dieses Jahr werde ich bei Eclat mein Projekt Treppenhaus vorstellen, das von Daniel Gloger und Truike van der Poel gesungen und aufgeführt wird. Es ist ein Stück, das Szenografie, Gesang, Choreografie und poetische Texte miteinander verbindet.
MZ: Kannst Du mir zu Beginn etwas über das allgemeine Konzept des Projekts Poetry Affairs erzählen? Ich glaube, das ist jetzt Dein zweiter Beitrag für das Projekt in diesem Festival, oder?
GRP: Genau, es ist das zweite Mal, dass ich bei Poetry Affairs mitarbeite. Und ich denke, das Konzept besteht im Wesentlichen darin, Poesie und Musik zu kombinieren und herauszufinden, wo die Grenzen zwischen Text und Musik liegen. Was ist Text und was ist Gesang und wo kann man beides einsetzen? Deshalb versammelt es einige Dichter und einige Komponisten. Und ich denke, das Ziel ist es, Kräfte zu bündeln und einfach neue Wege der Präsentation gesungener Musik zu entdecken.
MZ: Beim letzten Mal hast du für dein Stück Probleme mit dem Text der Dichterin Cia Rinne gearbeitet, der von drei Sängern und einem Psychotherapeuten vorgetragen wurde. Dieses Mal ist die Konstellation eine ganz andere. Kannst Du uns etwas über die Auswahl der Texte, die Besetzung und den Inhalt dieses Stückes erzählen? Und welchem Genre würdest Du Dein Werk zuordnen? Es ist ja kein Klavierlied, richtig?
GRP: Ja. In diesem Jahr wollte ich die Herausforderung annehmen, den Text und die Musik selbst zu produzieren, denn für mich ist das so eng miteinander verbunden, dass ich, wenn ich an Musik denke, bereits an Worte denke. Es verschmilzt also auf eine Art und Weise, dass es manchmal sogar schwer ist, einen fremden Text zu nehmen und ihn einfach in Musik zu setzen. Denn für mich kommt alles zusammen, wie das Konzept und die Szenografie. Deshalb wollte ich dieses Jahr versuchen, mit meinen eigenen Texten und meiner eigenen Musik zu arbeiten.
MZ: Und die Entscheidung für die Besetzung wurde natürlich anhand der Besetzung der Neuen Vocalsolisten getroffen. Wie eng hast Du mit den Sängern bei der Entstehung Deines Stückes zusammengearbeitet und wie viel gegenseitige Beeinflussung gab es im Prozess des Schreibens und Komponierens?
GRP: Sehr eng, wirklich sehr eng. Ich habe speziell danach gefragt, ob ich mit Daniel und Truike arbeiten kann, weil sie Countertenor und Alt sind, und sie sehr ähnlichen Stimmen haben, was die Tonhöhe angeht, so dass sie die gleiche Tonhöhe singen können und man mit geschlossenen Augen nicht wirklich wüsste, wer wer ist, wenn man sie beide nicht so gut kennt. Da ich mit Wiederholungen und Symmetrie und Asymmetrie arbeiten wollte, wollte ich auch zwei Stimmen haben, die fast gleich sind, um sie irgendwie auseinanderzunehmen und dann wieder zusammenzubringen. Deshalb habe ich beide ausgewählt. Und wir haben dabei sehr eng zusammengearbeitet, denn das Stück beinhaltet auch Bewegung, und die Dramaturgie ist so sehr mit dem verknüpft, was auf der Bühne passiert, dass wir das Bühnenbild wirklich gemeinsam ausprobieren mussten, um zu sehen, ob einige Bewegungen passen, ob sie bestimmte Dinge tun können oder nicht, denn es ist ein sehr physisches Stück, und in gewisser Weise haben wir einige der Bewegungen gemeinsam entwickelt. Ich hatte die Idee, danach haben wir dann ausprobiert, ob das funktioniert: Das nicht, dies vielleicht ja, jenes vielleicht nicht… und vielleicht könnte stattdessen etwas anderes funktionieren… Das war wirklich toll. Es war also eine sehr enge Zusammenarbeit. Es ist für mich eine wunderbare Sache, wenn man auf diese Weise arbeiten kann, wo ich wie auch sie so viel Zeit investieren. Das ist wie etwas sehr Wertvolles, weil es dann sehr persönlich wird und wirklich um sie geht.
MZ: Bist Du dieses Mal auch wieder als Darstellerin beteiligt? Es gibt in Deinem Konzept ja eine dritte Rolle. Stehst Du dafür auch auf der Bühne?
GRP: Nein, nein. Es ist anders als im letzten Jahr, als ich mit auf der Bühne stand. Wie Du im Skript gesehen hast, steht irgendwo auch mein Name, aber ich werde mit dem Mikrofon als dritte erzählende Stimme nur am Mischpult stehen und ihnen manchmal Anweisungen geben. Aber sie sind die Hauptpersonen auf der Bühne.
MZ: Okay. Wie Du früher schon sagtest, hast Du ein sehr weit gefasstes Konzept des Komponierens, das nicht nur die Musik, sondern auch den Text, die Aufführungssituation, die Choreographie, Bühnensituationen und vielleicht sogar Objekte umfasst. Wie kommen all diese Dinge im kreativen Prozess zusammen? Hast du eine entsprechend umfassende Imagination, bevor du mit dem Schreiben beginnst, oder baust du das alles Schritt für Schritt auf?
GRP: Das ist jedes Mal anders. Ich muss sagen, in diesem Fall ist es sehr anders. Am Anfang stand die Idee, mit einem Aufbau von Treppen zu arbeiten. Ich wollte eine schöne Szenografie schaffen, etwas, das sich irgendwie als unendlich erweisen würde. Deshalb gibt es diese beiden Treppenblöcke auf der Bühne, die ein Quadrat bilden, so dass sie die ganze Zeit laufen können und eigentlich nirgendwo hingelangen, weil sie stets am selben Ort bleiben. Ich hatte also eine sehr genaue Vorstellung vom Bühnenbild, mit dem ich arbeiten wollte, und von da aus ergab alles einen perfekten Sinn: Ich habe zwei Stimmen, die sich sehr ähnlich sind, und ich habe zwei Treppen, die asymmetrisch sind. Damit fing es an. Und dann habe ich beschlossen: Okay, vielleicht muss der Text auch auf diese Weise symmetrisch oder zyklisch angelegt sein. Auch die verschiedenen Elemente, die immer wieder auftauchen, erscheinen wie Zahlen, die die Zeit koordinieren, anzeigen, wie sie vergeht, was wiederum dem entspricht, was die Treppe symbolisiert. Letztendlich geht es mit dieser Treppenkonstruktion also um eine Darstellung des Lebens, würde ich sagen.
MZ: Ich habe ein Video gesehen, das Du für die Musikhochschule Bern gemacht hast: Darin sagst Du, dass Du Dich irgendwie in das Prinzip der Wiederholung verliebt hast. Gerade das ständige Hinauf- und Hinabgehen der Stufen hat auch eine repetitive Dynamik, die Du vielleicht auch musikalisch aufgreifst. Über die Musik werden wir später noch sprechen. Aber zunächst einmal könntest du uns vielleicht ein paar Worte darüber sagen, worum es in dem Stück inhaltlich geht?
GRP: Vom Inhalt her ist es eine Darstellung des Lebens. Und zwar in dem Sinne, dass sich zwei Menschen treffen und wieder treffen, und es ist so, als würden sie sich während des Stücks immer wieder treffen, wieder trennen und so weiter. Manchmal ist es so, als wären wir in einem anderen Universum: Wir sind jetzt in einer anderen Dimension und hier treffen wir uns wieder und es könnte etwas anderes passieren. Vielleicht stirbt jetzt jemand, fällt die Treppe hinunter oder wir heiraten fast. Oder wir werden einfach über die Treppen laufen. Das ist es, worum es geht. Es ist, als würde man sagen: Alle Geschichten können im Grunde am selben Ort passieren. Es geht darum, wegzugehen und sich zu treffen, eine Zeitreise zu machen, in die Vergangenheit zu reisen, auch darum, was es bedeutet, sich von einer Person oder von einer früheren Version Deines Ichs zu verabschieden. Es ist also eine leichte und fluide Art, das Leben und die Begegnungen miteinander darzustellen.
MZ: Im dramaturgischen Aufbau gibt es zwei Abschnitte, die als Zeitreisen bezeichnet werden. Welche Rolle spielen diese Zeitreise-Aspekte innerhalb der gesamten Dramaturgie des Stücks? Sind das Symbolisierungen von Erinnerung oder welche Funktion haben sie?
GRP: Es geht auch darum, wie Zeit vergeht. Manchmal sehen wir, wie wir uns einfach ein wenig voneinander entfernen. Und dann würden wir uns wieder treffen und es könnte etwas völlig anderes passieren als noch vor zwei Sekunden. Wenn wir diese zwei Sekunden zwei Sekunden nach hinten geschoben hätten, wäre etwas ganz anderes passiert. Das ist also, was es bedeutet. Und dadurch, dass sie auf viele verschiedene Arten in diesem Set herumlaufen, werden einfach die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt.
MZ: Lass mich Dich nach dem Genre fragen: Würdest Du sagen, dass es in gewisser Weise ein Miniatur-Musiktheaterstück ist, oder befindet es sich eher auf der Schwelle zwischen Konzertmusik und Theater? Wie siehst Du das?
GRP: Das ist schwer zu beantworten. Ich würde sagen, es gibt ein bisschen Theater, ein bisschen Musik und ein bisschen Choreografie. Was auch immer dazwischen liegt, könnte eine schöne Sache sein.
MZ: Eines der grundlegenden Themen dieses Projekts ist natürlich die Beziehung zwischen Sprache und Musik. Deshalb möchte ich Sie fragen, wie Sie generell die Beziehung zwischen Sprache und Musik sehen? Denn »Nennen« und »Erklingen« sind sehr unterschiedliche Arten des Ausdrucks. Und so ist es auch mit der Wahrnehmung. Es ist immer ziemlich schwierig, diesen beiden unterschiedlichen Wegen, diesen unterschiedlichen Arten der Wahrnehmung zu folgen. Kurz gesagt: Wie denkst Du über die Beziehung zwischen Sprache und Musik?
GRP: Für mich ist es dasselbe! Ich weiß nicht, ob es eine Grenze gibt, manchmal ist es nur eine dünne Linie. Zwischen den beiden Extremen reinen Texts und reiner Musik gibt es Vieles, das dazwischen liegt. Es ist eigentlich schwierig, reinen Text zu haben. Ich glaube sogar, den gibt es gar nicht. Zumindest wäre das etwas sehr Abstraktes. Oder er ist reine Musik. Ich beschäftige mich immer mit den Orten dazwischen. Ich weiß zum Beispiel nicht…, soll ich mal einen Teil des Textes lesen? Wenn ich einfach sage, wie: »She was lovely, was she was lovely, was lovely. Was lovely. Was she was lovely. Was she was lovely. Was she lovely. Was lovely. Was she was lovely. Was lovely. Was lovely. Was. Was. Was…« Ich weiß nicht. Ist das Text oder Musik?
MZ: Ich verstehe. Dann lass mich Dich als nächstes nach Deiner Musik fragen. Ich habe mehrere YouTube-Videos mit Deinen Kompositionen für verschiedene Besetzungen gesehen, für Ensemble, für Orchester, für Stimmen, für Instrumentalisten und für rein elektronische Darbietungen. Wie manifestiert sich nun Deine Musik in diesem Stück klanglich?
Welche Klangquellen kommen neben den Stimmen ins Spiel?
GRP: In diesem Fall ist die Elektronik sehr präsent, denn ich wollte einen starken Beat und eine starke Basslinie etablieren, die die Auflösung der Zeit symbolisiert, und diesem Set auch eine gewisse Tiefe und eine gewisse Kraft verleihen. Deshalb habe ich sie vorher aufgenommen und dann später alles bearbeitet. Einige der Landschaften, die auftauchen, sind also einfach da und verweisen auf Erinnerungen oder auf etwas, das einfach da ist, während beide Protagonisten auf der Bühne herumlaufen. Aber gleichzeitig hören wir sie auch. Und das nutze ich gerne in meinen Kompositionen, um mit dieser Abwesenheit und Anwesenheit auf der Bühne und der Abwesenheit und Anwesenheit von Musik und Klang zu spielen. Und ich glaube, das Ergebnis ist ein bisschen wie Magie, man sieht den Trick nicht, aber er funktioniert trotzdem.
MZ: Nutzt Du dafür vorproduzierte Zuspiele oder generierst Du die Musik live-elektronisch?
GRP: Hier wird also alles vorher produziert und sehr genau komponiert. Normalerweise ertappe ich mich dabei, wie ich alles »überkomponiere«, und dieses Stück ist deshalb so komponiert, weil wir alle Schritte und Bewegungen, die sie machen, irgendwie zusammen beschlossen haben. Es ist also so, dass alles, was auf der Bühne passieren wird, im Vorfeld ziemlich genau auskomponiert ist.
MZ: Wie ist das Verhältnis zwischen der Live-Elektronik und den Stimmen der beiden Sänger und deiner Sprechstimme? Arbeitest du mit Click-Tracks oder ist das Verhältnis eher frei zu gestalten?
GRP: Sie kennen die Zuspielungen einfach auswendig und setzen sich an bestimmten Punkten auf den elektronischen Part drauf.
MZ: Wie verhält es sich mit den Klangquellen, die Du für die elektronischen Zuspielungen verwendest. Handelt es sich dabei um bereits existierende Musik oder hast Du am Computer alles selbst erzeugt? Handelt es sich um konkretes Material oder sind es elektronische Klänge? Wie würdest Du Deine Klangquellen akustisch beschreiben?
GRP: In diesem Fall habe ich alles selbst produziert. Es gibt hauptsächlich Elektronisches, einige Beats, einige Synthesizer, etwas Bass, was ich vorher alles aufgenommen habe. Und dann gibt es ihre Stimmen, die wir aufgenommen haben. Später habe ich diese dann gefiltert und weiter bearbeitet. Das Ergebnis ist eine Art experimentelle Techno-Atmosphäre, die der Musik meiner Meinung nach eine gewisse Kraft verleiht und auch die Gesangstexte unterstützt. Es gibt also diese verschiedenen Momente wie: Okay, jetzt sind wir auf dem Beat und dann sind wir neben dem Beat. Und jetzt schweben wir und sind einfach drin und werden von all diesen Stimmen um uns herum beeinflusst.
MZ: Ja. Mein Eindruck war der einer Mischung aus elektronischer Musik und auch populären Musikformen. Ich musste auch irgendwie an die Video-Opern von Robert Ashley denken. Wie sieht es mit der Stilistik Deiner Musik aus? Bist du daran interessiert, eine sehr starke persönliche Handschrift zu erschaffen, oder suchst Du bei jedem Projekt nach neuen Wegen, um Sound zu kreieren?
GRP: Ich versuche, den besten Weg für das Projekt zu finden, damit es sich bestmöglich selbst auszudrücken vermag. Ich denke also: Was braucht es hier? Welche Kraft kann ich für diese spezifische Idee mobilisieren, damit sie ansprechender wird? Ich glaube nicht, dass ich daran interessiert bin, nur nach einem stilistischen Weg zu suchen, aber natürlich gibt es ihn, denn schließlich handelt es sich um mich, nicht wahr?
MZ: Es ist also sozusagen nur ein Nebenprodukt Deiner Arbeit. Als ich Ihr Stück »gelesen« habe, stellte sich der Eindruck ein, dass es sich mit grundlegenden Aspekten des sozialen Lebens beschäftigt. Das zufällige Zusammentreffen, das Kennenlernen, das Entwickeln von Mitgefühl und das Verlieben, das Gefangensein in den sich wiederholenden und additiven Routinen des Alltags, und schließlich das gegenseitige Vermissen oder die Flucht voreinander, bis hin zum tragischen Tod am Ende. Es geht also um jede Menge Alltagserfahrungen, gewissermaßen eine Art Tragödie des menschlichen Lebens »in einer Nussschale«. Würde Dir diese Interpretation gefallen? Natürlich ist es jedem freigestellt, auf seine Weise zu reagieren. Die Frage drängt sich mir auf, wie Du persönlich mit diesen sehr schwierigen Zeiten, in denen wir leben, umgehst? Wie stark bist du daran interessiert, eine Beziehung zwischen deiner Alltagserfahrung und der künstlerischen Arbeit herzustellen?
GRP: Ja, ich mag Deine Interpretation. Es ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, mich künstlerisch mit meinen alltäglichen Dingen zu beschäftigen, weil ich das Gefühl habe, dass so viel dahinter steckt. Es steckt alles hinter diesen Routinen und den täglichen Problemen, die uns begegnen. Und ja, das Leben und der Tod tauchen auf, aber nicht auf tragische oder dramatische Weise, sondern einfach als eine weitere Sache, die um uns herum passiert, und manchmal sogar so sehr, dass sie–auf humorvolle Weise, auf eine leichte Art–der Situation, die wir jetzt haben, eine andere Wendung gibt. Und das ist es, was ich normalerweise tue, denn ich fände es anmaßend, wenn ich dieses Thema als ein sehr »tiefgründiges« Thema auf eine »tiefgründige« Weise zu behandeln beanspruchen würde, denn: Ich bin nicht die Expertin. Ich kann nur diese Vision hinzufügen, die der Sache plötzlich eine andere Wendung gibt, und das ändert schon eine Menge.
MZ: Sehr schön, ich danke Dir vielmals. Abschließend möchte ich Dich bitten, vielleicht ein ganz kurzes, vielleicht einminütiges Statement über das Projekt abzugeben, das das Interesse wecken und das Publikum ermutigen könnte, sich diese Veranstaltung, dieses Konzert und Dein Stück nicht entgehen zu lassen.
GRP: Mein Stück heißt Treppenhaus, und es wird von Daniel Gloger und Truike van der Poel aufgeführt. Es ist eine Art Darstellung des Lebens an sich in einer leichten und fluiden Weise. Es wird eine gigantische Treppe geben, die aus zwei Blöcken besteht, die wie zwei Pyramiden aussehen, auf denen sie umhergehen und sich während des Stücks mehrfach begegnen werden. Und wer weiß, was passieren wird?