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Editorial 24

ECLAT 2024 lädt ein zum Perspektivenwechsel. Wir entfernen für die Dauer des Festivals die Zuschauertribüne aus der großen Theaterhaus-Halle und bringen Publikum und Kunst auf der so entstehenden freien Spielfläche jeden Tag in andere, neue Beziehungen.

Mi 31.01.

Trotz unterschiedlichster künstlerischer Prägung verbindet die drei Preisträger* innen, die wir im Eröffnungskonzert feiern, eine große musikalische Imaginationskraft. Inspiriert von Kulturen des Mittelmeerraums entwirft Uday Krishnakumar eine fiktive Kunstmusik-Tradition. Irene Galindo Quero entfaltet durch sensible Klangfäden eine telepathische Kommunikation zwischen zwei Parallelwelten, während Philipp Krebs mit großer Geste eine zunehmend an Fahrt aufnehmende Ensemble-Maschinerie anwirft, aus der sich Einzelne immer wieder als Impulsgeber herauslösen.

 

Nach dem rasanten Finale des ersten Konzerts dann das Innehalten. Eingebettet in zwei performative Konzept-Stücke macht die bewundernswert vielseitige Schlagzeug-Künstlerin Vanessa Porter inmitten des dicht bei ihr sitzenden Publikums die Direktheit und Körperlichkeit der Musik von Rebecca Saunders erlebbar, offenbart das Hervorbringen ihrer oft rätselhaft scheinenden Klänge durch eine Live-Kamera und verfremdet sie zugleich.

Do 01.02.

»Ich finde die Idee von Räumen, die durch den Fokus aufmerksamer Ohren belebt werden, sehr inspirierend. In solchen Momenten kollektiver Konzentration fühlt es sich fast so an, als würden unsichtbare Fäden zwischen uns wachsen, die uns für einen Moment miteinander verbinden, bevor wir uns wieder in die Welt zerstreuen. Beim Ritual der Aufführung geht es nicht nur um die Musik, die gespielt wird, sondern vor allem darum, Zeit miteinander in diesem besonderen Bewusstseinszustand zu verbringen.« (Christian Mason)

 

Inspiriert vom Popmusik-Konzept des »featuring« entfesseln anschließend zwei gefeierte Ensembles im Zusammenwirken eine völlig neue Energie. In Konstellationen von Solist*innen gegen Gruppen, dem Versuch des sich gegenseitigen Überbietens bis hin zum klanglichen Verschlingen der anderen machen Komponist*innen und Ensembles den kritischen Diskurs über Hierarchien und Machtstrukturen auf künstlerischer Ebene erlebbar.

Fr 02.02.

Ein Musiktheater für Kinder über Freundschaft, das Sich-Trauen und gegenseitige Helfen, das Eintauchen in fantastische Welten sowie die grenzenlose Fantasie des Spielens eröffnet den Freitag.

 

Im Orchesterkonzert treffen Barockinstrumente auf das klassischromantisch besetzte Orchester und Don Quixote und Sancho Pansa dürfen als Pianist und Schlagzeug-Assistent wiederauferstehen: Für ECLAT-Fans ist das eine Wiederbegegnung mit Franck Bedrossians großartigem Werk, das nun nach der Kammer-Fassung im Jahr 2021 endlich in der Originalfassung zum Festival kommen kann.

 

Der Freitag endet schließlich mit einer »Selbst-Ermutigung« eines Künstlers zum immer freieren Umgang mit gegebenen Materialien und Noten. Beginnend mit einer Fantasie über Stefan Wolpes »Battle Pieces« greift Christoph Ogiermanns Werk in unterschiedlichste Spielweisen, Ausdruckshaltungen und Themen aus.

Sa 03.02.

Das romantische Lied in der Tradition der bürgerlichen Salons ist für die Autor*innen ein Prototyp für die Objektifizierung von Frauen und den Machtmissbrauch in der Kunstindustrie. Die beiden Liedinterpretinnen des Musiktheaters werden dabei im wahrsten Sinne des Wortes zu Projektionsflächen, aus Stimme, Instrument und Körper entstehen postdigital bearbeitet hybride Wesen, die an der Grenze zwischen physischem und digitalem Raum agieren.

 

Im Chorkonzert bewegt sich das SWR Vokalensemble nicht nur gesangstechnisch abseits des Gewohnten: In ungewöhnlicher Beleuchtung und minutiös choreographiert wird Michael Reudenbachs Werk in Szene gesetzt.

 

Als »geschichtswissenschaftlichen Extremfall, der an die Grenzen der Rationalität stößt und im irrationalen Mystizismus aufgeht« bezeichnet Yair Klartag die Geschichte des im Sabbatianismus verorteten mystischen Komponisten Moshe Najara. Dessen messianische Klangvisionen inspirierten ihn zu seinem vielschichtigen Vortrags-Konzert.

 

In einem besonderen Raum-Klang-Setting überformt Max Marcoll langsam morphende Klangmassen von ebenso langsam veränderten Pulsen, und er verunsichert durch Be- und Entschleunigungen, Verschiebungen und Verbreiterungen allmählich unsere Zeitwahrnehmung.

So 04.02.

Für Poetry Affairs haben fünf Dichterinnen und fünf Komponist*innen aus zehn verschiedenen europäischen Ländern gemeinsam die vielgestaltigen Beziehungen von Sprache und Musik erkundet. Aus unterschiedlichsten Perspektiven von Dichtung und Komposition entstehen für ECLAT neun große Performances zwischen Konzert, Installation und Musiktheater. In zwei großen Veranstaltungs-Teilen erwachsen immer neue Konstellationen von der fast heimeligen Nähe des Publikums zu den Ausführenden bis zur weiten Distanz: Bilder und Szenen voller rhetorischer Finesse, kraftvolle, erschütternde, irritierende, sublime Poesie, Labyrinthe sprachlicher und musikalischer Permutationen und subtiler Bedeutungsverschiebungen. Sie führen uns in unterschiedliche Seins-Zustände, beschreiben die Ästhetik des Fehlers, ein Leben in sieben Panikattacken, eine skurrile Odyssee auf der Suche nach dem perfekten Wort oder einen Abgesang auf die Alpengletscher.

 

Rock my Religion: Der No-Wave-Film von Dan Graham mit Musik von Patti Smith, ein Gegenentwurf zu den religiösen Shaker-Ritualen, ist das Vorbild für das Heavy Metal Ritual, das die konzentrierte Erfahrung der Poetry Affairs in drei ekstatisch-ritualhafte Momente einbettet. Wer dabei als Publikum nicht nur in die Musik eintauchen, sondern einer unterdrückten Wut freien Lauf lassen möchte, kann aus isolierten Smash- oder Shout-Kabinen heraus Sounds an die Bühne »opfern«, wo sie im Rausch der Lautstärke von Sarattma verarbeitet werden und verglühen.

 

Die große Halle indes wird zur After Show erneut verwandelt und wir geben die Bühne frei für experimentelle Improvisation, intensive Gespräche, Party und Tanz.