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Samstag

Der Samstag dieses Festivals ist ein Tag der Kammermusik. Er beginnt mit einem konzentrierten Solo und endet mit einem kammermusikalischen Joint Venture von zwei ziemlich abgefahrenen »Bands«. Im Zentrum stehen zwei »Kammer-Spiele«Uraufführungen vokaler Miniaturdramen mit den Neuen Vocalsolisten als Start einer neuen Jubiläums-Konzertreihe.

 

Denn die Neuen Vocalsolisten haben etwas zu feiern: Vor 40 Jahren als Pool freischaffender Stimmen-Spezialist*innen gegründet, sind sie seit dem Jahr 2000 ein festes Kammermusikensemble, in dem die sieben Solist*innen vom hohen Sopran über den Countertenor bis zum schwarzen Bass meist in direkter Zusammenarbeit mit Komponist*innen jährlich bis zu 30 neue Partituren erarbeiten. Hunderte neuer Werke wurden ihnen in diesen 25 Jahren buchstäblich »auf den Leib« geschrieben, denn neben den differenzierten Vokaltechniken, also den instrumentalen Möglichkeiten der Stimme, spielen Text/Sujet, Performance und die Persönlichkeiten der Sänger-Darsteller*innen in Kompositionen oft eine wichtige Rolle. So ist im Laufe dieser 25 Jahre ein neues Genre entstanden: das »Vokale Kammer-Musik-Theater«.

 

Und dieses neue Genre feiern die Neuen Vocalsolisten mit ihrer Konzertreihe Kammer-Spiele, in der sie in den kommenden Monaten hier im Theaterhaus zur Wiederentdeckung großartiger Werke der jüngsten Vokalliteratur einladen. Bei ECLAT aber steht die Zukunfts-Perspektive auf dem Programm. Sechs neue Werke erzählen sechs oft sehr persönliche Geschichten: Mit seiner Heimat, einem Fischerdorf an der deutschfranzösischen Rhein-Grenze, befasst sich Stefan Pohlit »auf der Suche nach einer neuen Musik, die aus dem Alten, Verlorenen europäischer Sozialgeschichte schöpft«. Tomoko Fukui kommentiert musikalisch einen alten japanischen Mythos, Fernando Manassero blickt voll Ironie in eine dystopische Zukunft und Elena Rykova auf die leider alle dystopischen Vorhersagen erfüllenden Methoden ihres russischen Heimatlandes. Und Kuba Krzewinski verordnet uns allen einen empathischen Blick auf psychisch-soziale Probleme in der Musikszene.

 

Eingebettet ist die vokale Kammermusik in zwei Streicher-Kammermusiken, in der die absolute Musik im Vordergrund stehtauch wenn Timothy McCormack in seinem Werk für Marco Fusi die Körperlichkeit der Bratsche entdeckt, Salvatore Sciarrino (der auch für die Neuen Vocalsolisten großartige Werke geschrieben hat) die Geige singen lässt und die drei jungen Komponist*innen, die das bei ECLAT debütierende Fabrik Quartet mitbringt, starke metaphorische Bilder für ihre Werke finden. Zufällig stehen sich mit Sebastian Clarens Streichquartett und Luxa M. Schüttlers Vokalsextett in Konzert 11 und 12 zwei Uraufführungen direkt gegenüber, die zwei romantische Werke zum Ausgangspunkt haben.

 

Am späten Samstagabend dann eine freche, auch hier ironisch-dystopische Revue, die Annesley Black und Katrin Plavčak zusammen mit ihren beiden Bands, Kinky Muppet und The Nubes, in fröhlich-derben Comic- Skulpturen inszenieren: ein virtuoser Mix aus elektronisch-experimenteller und Renaissancemusik, Elektro-Pop und Punk-Rock, in dem zu später Stunde sogar nochmal gesungen wird.

 

Christine Fischer