Bnaya Halperin-Kaddari (Komponist)
So 04.02., 14:30 Uhr
Musikwissenschaftler Michael Zwenzner im Gespräch mit Bnaya Halperin-Kaddari.
MZ: Lieber Bnaya, vielen Dank für Deine Bereitschaft, mir etwas über Dein Projekt zu erzählen. Aber zunächst einmal: Wenn ich Deinen Namen lese, ist das irgendwie schon Musik. Ich möchte Dich zunächst bitten, Dich kurz vorzustellen und mir vielleicht auch etwas über die Herkunft Deines Namens zu erzählen, denn für mich ist es das erste Mal, dass ich dem Vornamen Bnaya begegne.
BHK: Also, mein Name ist Bnaya Halperin-Kaddari. Ich bin ein in Berlin lebender Komponist und Künstler. Ich arbeite mit einem breiten Spektrum von Praktiken, um die Art und Weise des Musikmachens neu zu beleben und verschiedene Arten des Seins durch Klang und Hören zu erforschen. Ich versuche, unsere chaotischen Zeiten durch instrumentale Komposition, improvisierte Musik, Instrumentenbau und Klanginstallationen, aber auch durch Video, Film und somatische Praktiken zu verarbeiten, darüber zu reflektieren, damit zu navigieren. Mein Name ist hebräisch, er ist biblisch. Wörtlich bedeutet er »Sohn Gottes«. Ben Yah. Und der erste meiner beiden Nachnamen, ist, glaube ich, die hebräische Version eines Namens russischen Ursprungs, Galperin, und Kaddari ist die hebräische Version von Schwarz. Mein Großvater war Linguist und er übersetzte seinen Namen, wörtlich übersetzt heißt er Dunkelheit.
MZ: Gewisserweise war er auch ein Komponist in dem Sinne, dass er einen wunderbaren Namen geschaffen hat. Also vielleicht kannst Du mir als nächstes etwas über das allgemeine Konzept des Poetry-Affairs-Projekts erzählen, das Du zusammen mit Deryn Rees-Jones verwirklicht hast. Wie kam es zu der persönlichen Verbindung zwischen Dir und Deryn, und wie eng war Eure Zusammenarbeit?
BHK: Ich arbeite oft innerhalb langfristig angelegter künstlerischer Engagements und Kollaborationen, und die aktuelle Arbeit für Poetry Affairs und das Eclat-Festival ist da keine Ausnahme. Es heißt Bears Nudging at Pleasures in the Dark. Es ist eine Zeile aus einem von Deryns Gedichten und ein dreiteiliger Gesangszyklus, der aus einer zweijährigen künstlerischen Zusammenarbeit zwischen mir, Deryn Rees-Jones, der walisischen Dichterin, und dem Ensemble Neue Vokalsolisten entstanden ist. Gemeinsam suchten wir nach Möglichkeiten, wie ein Dichter und ein Komponist einander Raum geben und nach Momenten suchen und greifen können, in denen Gefühle und Erinnerungen tatsächlich zu Klängen und Symbolen werden, und wie diese beiden aus den Zwischenräumen zwischen dem Klanglichen und dem Semantischen herauswachsen können? Das Stück ist also wie ein Kaleidoskop aus drei Vokalsätzen aufgebaut, die sich gegenseitig reflektieren, ergänzen und interpretieren, wobei jeder Satz ein anderes Licht oder einen anderen Klang auf die anderen Sätze wirft, wenn man so will, und so eine Art instabiles Triptychon ergibt.
MZ: Habt Ihr Euch regelmäßig getroffen oder habt Ihr das per E-Mail gemacht? Oder habt Ihr Euch konstant über das Projekt ausgetauscht, das sich so Schritt für Schritt oder Abschnitt um Abschnitt entwickelt hat. Oder hattet Ihr Treffen über mehrere Tage oder Wochen, um konzentriert zusammenzuarbeiten?
BHK: Von allem etwas, ausgenommen die intensiven physischen Treffen, die nicht so einfach zu realisieren waren. Es war also hauptsächlich ein Online-Austausch anhand schriftlicher Korrespondenzen und von Telefonaten, ein ständiger Austausch von Ideen und Referenzen und Texten und Skizzen und Klängen in einer Art Ping-Pong-Modus. Dabei erwuchs schnell die Erkenntnis, dass wir beide sehr an der Verbindung von Poetik, Politik und persönlicher Neupositionierung interessiert sind und daran, wie man Zeugnis ablegen kann von dem, was geschieht, und dies vor allem durch den Körper, mit offenen Sinnen. Mit offenen Ohren.
MZ: Und wie hast Du Deryn kennengelernt? War es ein Vorschlag von Christine Fischer, oder hast Du ihn unabhängig von Eclat kennengelernt? Wie kam es zu dieser Konstellation?
BHK: Poetry Affairs wurde von Christine und Andreas Fischer und dem Ensemble Neue Vocalsolisten initiiert und brachte Komponisten und Dichter mit der Idee einer Zusammenarbeit zusammen. Es war ziemlich offen. Und da ich gerne die Feinheiten der Sprache kenne, wenn ich mit Sprache und Musik arbeite, dachte für mich persönlich, dass ich besser mit der englischen Sprache arbeite. Aber ich war auch von Deryns Schreibstil sehr angetan. Als wir anfingen, miteinander zu reden, war mir klar, dass wir etwas gemeinsam entwickeln und ausarbeiten können. Und das haben wir dann auch getan. Es gab zwei Runden für dieses Projekt. Es war eine sehr unkonventionelle und großzügige Konstellation, dass Christine uns ein Werk oder eine Art work in progress in Auftrag gegeben hat, das wir zum Teil bereits letztes Jahr vorgestellt haben. Das war der erste Satz dieses Zyklus. Und dann haben wir beschlossen, fortzufahren und zwei weitere Sätze für die kommende Version des Festivals zu erarbeiten.
MZ: Ihr plant also vier Teile. Oder sind es die drei Teile, die wir kennen?
BHK: Es sind drei Teile. Ich kann Dir gerne Auskunft geben, weil es ziemlich interessante Beziehungen zwischen ihnen gibt. Der erste Satz heißt Elephant und ist für Stimme und Elektronik. In Elephant treffen wir auf eine Frau, die sich in einem Krankenhaus auf der Suche nach einer medizinischen Maske verirrt. Sie bewegt sich durch die Stadt, das Krankenhaus und seine Gänge. Die Welt um sie herum befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Zusammenbruchs, in dem ein Krieg wütet und ein Virus weiter mutiert und Schaden anrichtet. Eigentlich kennen wir diese Geschichte, aber sie wird von Deryns ganz besonderer Stimme erzählt und ist als eine Art liminale Inszenierung aufgebaut. Die Atembewegungen von Andreas Fischer stehen im Mittelpunkt und öffnen eine Art Traumportal, die diese Frau allmählich in etwas anderes verwandeln, in einen Elefanten oder in die Erinnerung selbst, oder sogar in etwas, das nicht mehr ganz greifbar ist. Und die Tonspur, die Erzählung und Andreas’ Atemzüge bewegen sich in einer Art Spirale zwischen dem Semantischen und dem Nonverbalen und schaffen so einige fast unbeschreibliche Momente, die sich im Konzertsaal auftun. Der zweite, mittlere Satz heißt Rest und ist eine Klanginstallation für eine einzelne Person mit Kopfhörern. Es ist eine Einladung zu einem Nickerchen im öffentlichen Raum des Theaterfoyers. Ausruhen heißt innehalten und auftanken. Und das ist eine Art Intervention im allgemeinen Fluss des Festivals, der oft voll von Musik ist, bis hin zur Erschöpfung. So laden wir die Zuhörer ein, sich einfach auf ein Bett zu legen und entweder einigen somatischen Anweisungen und Gedichten zu lauschen oder einfach zu schlafen und ein Nickerchen zu machen und für eine Weile zu entkommen, wenn sie in der Sicherheit der Gemeinschaft der Zuhörer sind. Es ist eine Art von Musik zum Ausruhen in einer Pause von der Musik. Und die Tonspur von Rest enthält gefilterte Versionen der beiden anderen Sätze, ein bisschen so, als würde man von außen in den Konzertsaal hineinhören und reflektierte oder diffuse Klangeindrücke von dem erhalten, was drinnen passiert. Der dritte Satz heißt Consider the Lilies und stellt eine poetische und lyrische Kontextualisierung des gesamten Zyklus dar. Im Mittelpunkt steht die Snowdon-Lilie, eine äußerst seltene und fast ausgestorbene Blume, die häufig an den walisischen Berghängen zu finden ist. Die Musik hier ist fünfstimmig, und schraubt sich immer weiter nach oben, was mit der immer stärker aufgeladenen Atmosphäre und den steigenden Temperaturen korrespondiert. Und diese Lilie ist nicht nur Zeuge der Umweltveränderungen, sondern auch ein Symbol für Widerstandsfähigkeit und Stärke und ein Versprechen für eine mögliche Zukunft in einer rauen Welt. Diese drei Sätze und der gesamte Zyklus zusammen erforschen also das, was wir Ethik der Fürsorge durch Zuhören nennen. Und wie geschieht das? Indem wir dem dynamischen Zusammenspiel von Worten und Musik lauschen, können wir verschiedene Positionen einnehmen und durch unseren Geist und unseren Körper verschiedene Klangperspektiven verwirklichen. Diese musikalischen Erfahrungen bringen uns dazu, uns zu einer hoffnungsvollen und notwendigen Neuausrichtung unserer selbst in der Welt zu bewegen, um diese Welt zu ertragen, nicht vor ihr wegzulaufen. Oder, wie Deryn sagt: Wirklich alles ist auf eine bestimmte Art und Weise wichtig, und wir versuchen, diese verschiedenen Perspektiven in diesem Kaleidoskop zu vereinen.
MZ: Ich danke Dir sehr. Viele meiner Fragen kann ich nun überspringen, weil Du sie jetzt schon wunderbar beantwortet hast. Aber es bleiben natürlich auch noch Fragen offen. Auf welche Klangquellen greifst Du zurück: Sind diese akustischer, elektronischer oder instrumentaler Art? Du hast gesagt, es gebe elektronische Zuspielungen. Was ist hier Dein Ansatz, wie ist die Bandbreite an Klangmöglichkeiten, die Du in allen drei Teilen verwenden wirst?
BHK: Also hier würde ich in umgekehrter Reihenfolge beginnen. In Consider the Lilies, dem dritten Satz, gibt es unhörbare Zuspielungen. Die Sänger folgen einer Tonspur, die ihnen die Stimmtöne vorgibt, und diese steigen im Laufe der sechs Minuten des Satzes ständig an, insgesamt um etwa eine Quarte. Sie müssen also ständig ihre Tonhöhen neu ausrichten und sich an eine sich ständig verändernde musikalische Umgebung anpassen. Für den zweiten Satz, Rest, habe ich diesen dritten Satz und Teile des elektronischen Tracks des ersten Satzes aufgenommen, über den ich später sprech0en werde, und ihn gewissermaßen neu arrangiert und reflektiert. Die Stimmen, die ich in Stuttgart mit dem Ensemble aufgenommen habe, singen also dasselbe Gedicht, summen es nur, gleiten aber nach unten, als würden sie einen in den Schlaf wiegen, in den Schlummer einlullen. Und dem stelle ich eines der Instrumente aus dem ersten Satz und einige andere Umgebungsgeräusche und ihre Inspirationen gegenüber, die ziemlich zentral sind. Es gibt sowohl eine englische als auch eine deutsche Version, die von Truike, der Mezzosopranistin des Ensembles, gesprochen wird, was ein deutschsprachiges Publikum dazu einlädt, sich wirklich wohl zu fühlen und nicht einen Text übersetzen und interpretieren zu müssen, der sehr somatisch ist und einen durch einen Körperscan führt. Der erste Satz Elephant ist der reichhaltigste in Bezug auf sein Klangmaterial. Er stellt Deryns Stimme, die Erzählung, Andreas’ Atemgeräusche, ein weiteres akustisches Instrument, ein sehr langes, ich glaube sieben Meter langes Wellrohr, das ich spiele, und eine elektronische Zuspielung nebeneinander. Dieser Track selbst ist eine Kombination aus Synthesizerklängen, Aufnahmen dieses Wellrohrs, einer Aufnahme, die ich in Münster von einer Thomas Schütte-Skulptur gemacht habe–er0 hat eine Umwelt-Skulptur geschaffen, die ein bisschen wie eine Mischung aus einem Atombunker und einem Elefanten aussieht, die auch großartig klingt–und Archivaufnahmen aus dem Berliner Zoologischen Garten, dem Berliner Zoo aus den 1960er Jahren, von den Elefanten, die es dort gab. In der Geschichte, die Deryn erzählt, sind im Hintergrund ständig diese zoologischen Dokumente zu hören, in denen verschiedenes Brüllen und Geräusche von Elefanten katalogisiert sind und die das ganze Geschehen irgendwie kontrapunktieren.
MZ: Wie kamt Ihr auf die Idee, einen Elefanten mitspielen zu lassen? Ich denke, das ist eine Frage des Textes, ich habe ihn zwar gelesen, aber im Moment kann ich mich nicht erinnern. Was war die Idee hinter diesem Aspekt der Natur und der Zoologie?
BHK: Wir beide beschäftigen uns in unserer Arbeit oft mit Tieren und Tiergeräuschen, und zwar aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Ich vor allem durch Sampling oder Transkription von Tier- oder Vogelstimmen–das hat ja auch eine lange Tradition. Und Deryn legt in ihren Texten ebenfalls einen sehr feinen und nuancierten Fokus auf Tiere. In unseren Gesprächen–um ehrlich zu sein, kann ich nicht einmal genau sagen, wann genau der Elefant aufgetaucht ist–war irgendwann einfach da. Und wir beziehen uns auf ihn als eine Art Verkörperung der Erinnerung. Diese Tiere sind dafür bekannt, dass sie ein extrem scharfes und langlebiges Gedächtnis haben. Und da es in dieser Bewegung um die Erinnerung an eine Krankheit und die Erinnerung daran geht, gesund zu sein, und um die Last, lange Heilungsprozesse zu durchlaufen und etwas zu ertragen, was ein chronischer Zustand sein könnte, war die Solidität des Elefanten und seine Widerstandsfähigkeit und sein Gedächtnis und sein Mitgefühl… eine Art sehr kristallisiertes Symbol für all diese Dinge.
MZ: Gleichzeitig einer bedrohten Spezies anzugehören gibt dem Ganzen noch eine weitere Dimension.
BHK: Natürlich, ja.
MZ: Sehr schön. Wenn ich mir die Partitur des dritten Teils, Consider the Lilies, ansehe, sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob Du Dich auf historische Musik beziehst. Man hat es mit einer Kombination aus klassischem Choralsatz und diesen Drone-Elementen zu tun, die Du bereits beschrieben hast. Das erinnert auch etwas an Alvin Luciers Einsatz von Sinustongeneratoren, die der Orientierung der Musiker dienen. Gibt es bewußte Anknüpfungen an historische Aspekte in Deiner Musik?
BHK: In diesem Fall ist es natürlich fast wie eine Stilstudie oder ein Pasticcio zwischen einem Organum der Notre-Dame-Schule und der Volksmusik der britischen Inseln aus dem 14. Jahrhundert. Also ja, ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, die Musik hier als eine sehr schlichte–sie moduliert natürlich durch diese Art wandernden Tonraum, der immer weiter aufsteigt–aber tonal modale Musik zu setzen. Und die melodischen Zellen spiegeln das natürlich wider. Und das war meine unmittelbare Reaktion auf die Lyrik des Gedichtes selbst. Ich war der Meinung, dass ich diesen wirklich schönen, zu Herzen gehenden und zum Nachdenken anregenden Texten den besten Dienst erweisen kann, indem ich dafür sorge, dass sie dem Publikum klar vermittelt werden. Und im Fall von Consider the Lilies komponierte er sich fast von selbst, was die Sprachentfaltung der Hauptstimme angeht.
MZ: So wird das Stückzu zu einem wunderbaren Beziehungsgeflecht, mit internen musikalischen und externen Bezügen zu verschiedenen Themen unterschiedlicher Lebensbereiche. Ich freue mich sehr darauf, das Stück in einer Live-Situation gemeinsam mit den neuen Stücken zu erleben. Es folgt eine vielleicht etwas schwierige Frage. Du kannst mich gerne auch bitten, sie einfach zu überspringen. Wie siehst Du generell das Verhältnis zwischen Sprache und Musik, zwischen dem Benennen und dem Erklingen, die natürlich beide mit sehr unterschiedlichen Rezeptionsweisen verbunden sind? Manchmal fühle ich mich ein wenig überfordert mit der Aufgabe, beiden Rezeptionsebenen gleichzeitig zu folgen. Manchmal funktioniert es wunderbar, aber es gibt vielleicht immer auch ein Konfliktpotenzial, wenn man Klang und Semantik kombiniert. Wie denkst Du darüber?
BHK: Das ist eine sehr gute Frage, die ich gerne beantworte: Ich denke nicht, dass man sie umgehen sollte. Lustigerweise waren die einzigen anderen Texte, die ich in den letzten zehn Jahren vertont habe, im Grunde magische Zaubersprüche oder Formen der Hexerei, wie kabbalistische Texte oder die Namen Gottes selbst. Ich habe also ganz bewusst versucht, diese Situation zu vermeiden, in der Worte, die eine Bedeutung haben und verstanden werden sollten, verwischt werden und ihre Bedeutungsfähigkeit zugunsten ihrer Klanglichkeit verloren geht. Das fühlte sich immer wie ein Kompromiss an, ein Entweder-Oder. Wie passend also, und das war Teil der Definition des Projekts von Poetry Affairs, dass hier etwas anderes gewünscht wurde. Ich habe mich wie gesagt dazu entschieden, mich wirklich in den Dienst des Textes zu stellen, habe ihm sozusagen die Führung überlassen, womit ich natürlich immer darauf bedacht war, dass er–zumindest der größte Teil davon–recht verständlich sein sollte, und dass er vermitteln helfen sollte, was der Text selbst erreichen will. Im Fall von Elephant, das eine Art Prosagedicht ist, gibt es also eine Erzählung, eine Geschichte, was diese Frau durchlebt. Und im Grunde genommen folgt man ihr. Es ist fast wie ein Film ohne Bilder oder nur mit dem Bild einer leeren Bühne und einer seltsamen Figur, die in diesen leeren Raum aus der Ecke der Bühne hineinatmet. Und man kann immer dem folgen, was Deryn sagt, wahrscheinlich mit Ausnahme von ein oder zwei Sätzen, die wiederum ziemlich sorgfältig platziert sind, so dass die Musik manchmal die Erzählung übernehmen und verschlucken kann und die Erzählung so zur Musik wird, weil Gesang und Sprechen einfach die Endpunkte eines kontinuierlichen Spektrums sind.
MZ: Sehr schön, ich danke Dir. Ich möchte Dir zum Schluss noch eine allgemeinere Frage stellen. Du hast mir geschrieben, dass Du in ein paar Tagen Deine Familie in Israel besuchen wirst und damit in eines der Epizentren menschlicher Konflikte unserer Zeit reist. Wie gehst Du als Künstler damit um? Was ist Dein persönlicher Krisenmodus als Künstler und Komponist angesichts dieser sehr düsteren Realität? Möchtest Du Deine künstlerische Arbeit eher davon fern halten? Entschuldigung, nein, das willst Du nicht, das hattest Du mir ja vorhin schon gesagt. Aber vielleicht kannst Du ein paar allgemeinere Gedanken dazu formulieren, wie Du das Verhältnis siehst zwischen Deinem Beruf und der Welt, in der Du lebst.
BHK: Meine erste Reaktion ist: mir wird ständig das Herz gebrochen. Im Grunde wird mein Herz wieder und wieder, Tag für Tag durch Geschichten auf beiden Seiten, durch diese Realität gebrochen, die hoffnungslos und dunkel und düster, wie Du sagst, und zynisch erscheint und von so vielen verschiedenen Akteuren und Einrichtungen für sich ausgeschlachtet wird. Und die Menschen, das Leben und die Umgebung, diese realen Verhältnisse vor Ort werden von höheren Mächten einfach zerdrückt. Ich denke, dass diese Arbeit Bears Nudging at Pleasures in the Dark für mich persönlich eine Flucht in eine Welt des Klangs und der Gedanken war, aber eine Art von Flucht, die kein Eskapismus ist. Durch die Musik und die Kunst und durch dieses Beharren auf dem, was geschieht, während wir unsere Ohren offen halten… das ist mein bescheidener Beitrag. Ansonsten habe ich nicht das Gefühl, dass ich viel tun kann. Ich meine, ich bin nicht in der Position, irgendjemanden zu überzeugen, und wir leben in einer solchen Post-Truth-Zeit, dass der Horizont der politischen Diskussion immer stärker eingeengt erscheint. Mein Angebot ist also ein Raum, ist das Kuratieren und Komponieren von Räumen zum Zuhören mit der Hoffnung, dies alles auszuhalten oder eine Art von Hoffnung zu entfachen, auch wenn ich nicht einmal genau weiß, was ich mir erhoffe.
MZ: Bnaya, ich danke Dir vielmals. Was Du gesagt hast, ist wirklich sehr ermutigend, muss ich sagen, denn für mich ist klar, dass es eine sehr intensive Beziehung zwischen Deiner Arbeit und dem alltäglichen Leben gibt, aber auf eine Art und Weise, die nicht plakativ ist, sondern sehr, sehr differenziert. Und das ist genau das, was ich als Zuhörer, in meiner Erfahrung mit zeitgenössischer Kunst suche. Ich danke Dir also vielmals. Ich denke, wir haben jetzt bereits ein wunderbares Interview aufgezeichnet. Möchtest Du aber noch etwas hinzufügen, von dem Du den Eindruck hast, dass es irgendwie vergessen worden ist?
BHK: Ich weiß nicht, wie Ihr das bearbeitet, aber ich möchte auf jeden Fall erwähnen, wie ich über dieses Projekt denke: Ich denke, dass es wirklich etwas Besonderes ist und eine sehr gute Position auf dem Weg einer post-pandemischen Art des zeitgenössischen Musikmachens in Europa, in Deutschland und generell darstellt. Wie ich schon sagte, war es eine sehr großzügige und offene Einladung, wirklich zu experimentieren, sowohl mit den Wegen und Methoden der Arbeit und der Entwicklung eines neuen Werkes, als auch mit dem Format. Es ist fern von diesem manchmal sehr unpersönlichen Auftragsprozess, bei dem ich ein Auftraggeber bin, der einem Komponisten eine Geldsumme zur Verfügung stellt, damit er mir eine fertige Partitur vorlegt, die zweimal geprobt und uraufgeführt wird, wobei die Premiere und die Dernière oft dasselbe sind. Hier war es etwas ganz anderes, und dafür bin ich sehr dankbar. Und ich denke, es ist wichtig, dass andere Festivals und Kulturorganisationen erkennen, dass die Einrichtung solcher Plattformen wunderbare Ergebnisse bringen kann, also wenn sie sich auf interdisziplinäre und langfristige Kooperationen einlassen. Und ich denke, wir werden das während des gesamten Festivals und des Konzerts am Sonntag erleben.