Davor Branimir Vincze: XinSheng
Short opera for soprano, chamber ensemble & electronics
(2021)Die Geschichte von »XinSheng« handelt von einer verworrenen Dreiecksbeziehung zwischen Andrei, einem Boxer, Fan, seiner Trainerin, und Anne, einer Chirurgin. Nachdem Andrei einen illegalen Boxkampf nur knapp überlebt hat, drängt Fan Anne, ihn mit einem experimentellen Medikament, »Xinsheng«, zu behandeln, das sein Leben retten wird, allerdings zu einem hohen Preis. Die Oper spielt in einer quasi-dystopischen Welt mit chaotischen Beziehungen, Verdrängungswettbewerb und medizinischen Missbräuchen und schildert das Aufeinanderprallen von persönlichen Gefühlen und beruflichen Verpflichtungen, die Opfer, die die Liebe fordert, und die paradoxen Überschneidungen von Intimität und Distanz.
Je weiter die Oper voranschreitet und je mehr wir über die komplizierten Geschichten der Figuren erfahren, desto schwieriger wird es zu erkennen, ob Fans Wunsch, Andrei zu retten, durch Zuneigung, berufliche Pflichten oder ihren eigenen finanziellen Vorteil motiviert ist. Gleichzeitig wird mit der Enthüllung der Tragweite von Annes Entscheidung, das Medikament zu verabreichen oder zurückzuhalten, unklar, ob ihre endgültige Entscheidung eine Geste der Liebe oder der Rache darstellt. Letztlich ist es vielleicht beides–ein Akt der Liebe, der selbst eine Form der Gewalt ist.
Die Musik ahmt diese emotionale Ambivalenz nach, indem sie das Publikum in dichte, vielschichtige und sich verändernde Texturen eintauchen lässt. In den nah aufgenommenen Keuchen, Röcheln und Knurren der Wut unterstreicht die Oper, dass Intimität auch distanzierend sein kann: Je näher die Oper ihren Figuren kommt, desto unpersönlicher und unangenehmer wird sie.
Wie die unschlüssige Erzählung schwankt auch die Musik von »Xinsheng« zwischen den Extremen, ohne sich jedoch jemals ganz in einem von beiden festzusetzen. Die ersten Minuten, die Andreis fast tödlichen Kampf zeigen, sind hautnah und vereinen flatternde und knurrende Instrumentaltexturen mit den Geräuschen von Keuchen und Stöhnen, um den Klang eines in Not geratenen Körpers zu erzeugen. Während der gesamten Kampfsequenz bleibt die Musik unerbittlich gewalttätig, voller Basstrommelpulse, die den Klang von Andreis rasendem Herzschlag evozieren, und kreischenden Cello-Glissandi, die die Schreie der Zuschauer erahnen lassen.
Später, als das Drama von Andrejs Kampf von der Dramatik seiner Behandlung ersetzt wird, wird die Musik distanzierter und ätherischer. Als die Chirurgin Anne über Andreis Körper steht, werden ihre Überlegungen über die Schuld, die sie seiner Trainerin Fan schuldet–und in der Tat die Schuld, die Fan Anne schuldet -, in einer wunderschönen Kaskade von absteigenden Gesangslinien ausgedrückt, die von himmlischen Synthesizertexturen und spärlichen Zither-Dissonanzen begleitet werden. Während sie langsam zu ihrer Entscheidung kommt, verdichtet sich die musikalische Textur immer mehr und gipfelt in einem fast unerträglich intensiven Moment, bevor sie, scheinbar erschöpft, in einem Feld schwacher, hohler Harmonien zusammenbricht, die von hellen Klangpunkten unterbrochen werden. Je nachdem, wie wir Annes Entscheidung verstehen, könnte diese unheimliche Textur als Erholung von der zuvor ertragenen Gewalt oder als deren Apotheose verstanden werden.