One line

Uwe Rasch: DSDLDASSPIELDASLEBEN

Vergrößerungen des Erfolgs/Nahaufnahmen

für Ensemble und Video

Mit Ach und Krach ist die Überschrift für drei unabhängige Werke versprecher (2014), KinderStücke (201921) und DasSpielDasLeben (DSDL 2023/24), die sich wechselseitig beleuchten. Ihre Schnittmengen sind Erfahrungsfelder wie Zugewandtheit, Empathie, Zusammenhalt unter spezifischen Umständen, Bewältigungsversuche, Wachheit gegenüber sozial-normativen Vorgaben, Unterscheidungsfähigkeiten.

 

Auf unterschiedliche Weise verbindet diese Stücke auch eine Kombination aus auditiven, performativen und visuellen Mitteln. Zu dieser Hybridität (SchauSpielSzenenMusik) muss jeweils eine Art Topographie der Aufführungssituation bedacht und entworfen werden. Inszenatorische Elemente, Präsentationsformen, raumabhängige Positionierungen haben deshalb ein anderes Gewicht als bei einem rein kammermusikalischen Stück. Die Werke sind nur live adäquat rezipierbar, wobei Varianten in der Materialorganisation zu unterschiedlichen Ausprägungen führen, z. B. als Hörstück, Film, Installation, Performance, als Ensemble- oder Musiktheaterprojekt: Vergegenwärtigungen durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der Materialien, immer im Versuch, Auseinanderlaufendes oder (scheinbar) aneinander Vorbeilaufendes miteinander in Verbindung zu bringen und damit aufeinander zulaufen zu lassen, um es anders wahrnehmen zu können.

 

15. (…) »Künstlerische Vergegenwärtigung konfrontiert die Kontinuität des Präsens mit Gegenwirklichkeiten. Vergegenwärtigen ist ein Angriff auf die Hegemonie einer Zeitordnung. Denn Gegenwart ist nie identisch mit der Aktualität, sie ist kein Punkt auf einer Linie, keine durch Synchronisierung hergestellte Sequenzfläche und auch kein technisch kontrollierter Raum der Anwesenheit, sondern die Streuung der Eigenzeit von Lebewesen, Dingen, Stoffen, Materialien, die aus ihrer gegenseitigen Wahrnehmung hervorgeht. Gegenwart ist immer dynamisch und oppositional zu denken. Vergegenwärtigung sollte dementsprechend als eine Auseinanderfaltung, eine Rekonfiguration dispersiver Intensitäten verstanden werden.«

aus: Ludger Schwarte, Notate für eine künftige Kunst, Berlin 2016

(Uwe Rasch)

 

Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. (Leo Tolstoi, Anna Karenina)

 

DasSpielDasLeben (DSDL) ist ein Konzept zur Kontaktaufnahme und damit vor-, aber nicht zu Ende gekocht. Es ist ein ernst zu nehmendes Spielangebot, das zwar durch Harmlosigkeit organisiert, aber von einem Harm ausgehend gespielt wird. Niemand kommt zu Schaden, aber ein »Schaden« wird zum Startpunkt.

 

DSDL bietet Materialien und Zeitstrukturen an, die für den Ablauf immer wieder neu organisiert und ortsspezifisch verändert werden können. Dazu wird am jeweiligen Aufführungsort eine Person mit prekärer Biografie interviewt und gefilmt und mit Elementen des Kinderspiels Das Spiel des Lebens in Korrespondenz gesetzt. Durch das Spielkonzept wird die reale Biografie mit der idealisierten, geradlinigen Gehobene-Mittelschichts- Karriereplanung, wie sie im Gesellschaftsspiel Das Spiel des Lebens angelegt ist, konfrontiert.

 

Alle Materialien sollen so organisiert und »inszeniert« werden, dass neue Aktualität und zeitspezifische Konkretion entstehen können, die im Zusammenspiel von Gehalt, Form und Material über das Spiel selbst hinausweisen. In diesem Sinne wünsche ich allen jeweils Beteiligten das Glück, Pech im Spiel zu haben.

 

Es ist etwas, das man sieht oder fühlt, und gleich daneben ist es.

(Alexander Kluge, Der Liebe Mund küßt auch den Hund)

 

Das Spiel besteht aus vier Elementen:
1. Biografie-Video: Am konkreten Aufführungsort wird eine Person in prekärer Lebenslage interviewt und dokumentarisch gefilmtrespektvoll und mit dem Ziel, nicht »Elend auszustellen«, sondern zu zeigen, dass ein Leben trotz immenser Anstrengungen und Herausforderungen bewältigt wird. Die Protagonist*in ist Teil des Ensembles und wird entsprechend honoriert. Das fragmentierte Video ist der Ausgangspunkt und wesentlicher Bestandteil der Aufführung.

2. Die Spielregeln des Gesellschaftsspiels Das Spiel des Lebens
3. Musik. Das klingende Material kann sowohl komponiert, kompiliert,

collagiert als auch zitiert werden.
4. Abbildungen des Gesellschaftsspiels Das Spiel des Lebens.

 

Dazu gibt es frei wählbare Spielkarten-artige Arbeitsblätter, die die Zeitstruktur, Komplexität und Unvorhersehbarkeit des Ablaufs eines Spiels (einer Aufführung) bestimmen. Es entstehen ständige Wechsel von Stimmungen, Klangtypen und Genres, die sensibel und nicht illustrativ in Korrespondenz zur gefilmten Biografie gesetzt werden.
(Uwe Rasch)