One line

Johannes Maria Staud: Whereas the reality trembles

für Percussion solo und Orchester

Kunst ist mächtig. Musik, da sie so abstrakt ist, ganz besonders. Sie kann im Unterschied zum vergifteten politischen Diskurs unserer Tage in Schattierungen operieren, vermag das Uneindeutige, das Fragile, das Flüchtige zum Thema zu machen. Sie kann poetisch, dramatisch und verspielt, wild, gespenstisch und zärtlich gleichzeitig sein. Sie hat keine Lobbyinteressen, ist deshalb auch nicht instrumentalisierbar, korrumpierbar und kann die Realitätdurchaus auch als Vorbild für Politik und Gesellschaftso zeigen, wie sie wirklich ist: vibrierend, oszillierend, flackernd, zitternd, bebend. Irisierend und vielgestaltig in der Fülle der möglichen Bedeutungsräume… die Liste der Synonyme ist beinahe unbegrenzt.

 

William Carlos Williams (18831963), der große Fixstern der Amerikanischen Moderne, der Magier der »Jittering Directions«, ist hierfür das Vorbild schlechthin. Aus dessen wunderbar zeitlosem Gedicht April (aus der Sammlung Della Primavera Trasportata al Morale) von 1930 habe ich den Titel für meine Musik für Percussion und Orchester entnommen.

 

Der Solist interagiert in meinem Werk mit dem Orchester stets auf Augenhöhe. Sie sind gleichberechtigt, inspirieren und ergänzen sich gegenseitig, treten in Diskurs. Sie ziehen bisweilen am gleichen Strang, um dann wieder unterschiedliche musikalische Bedeutungsräume individuell auszuleuchten. Die Balance zwischen Erwartbarkeit und Überraschung, zwischen Spielwitz und musikalischer Substanz ist genau kalibriert.

 

Mein fünfteiliges Werk, das in der Solo-Percussion anfangs die temperierte Welt des Marimbaphons (Holz) mit der leicht untemperierten der Almglocken (Metall) kombiniert, federnd pulsierend vom Orchester begleitet, greift immer weiter aus. Es verbindet bekanntes Instrumentarium (etwa Bongos, Trommeln, Woodblocks und Crotales) mit unbekanntem (etwa Blumentöpfe, Metallkanister, Donnerbleche oder Holzkisten). Die Solo-Percussion geht dabei teilweise ungewöhnliche Klangbeziehungen mit einzelnen Orchestergruppen, fremdartigen Instrumentalkombinationen oder einzelnen Soloinstrumenten ein.

 

Rhythmisch akzentuierte, wilde Teile werden ruhigen, atmosphärischen Abschnitten gegenübergestelltauch groovy pulsierende Passagen sind dabei. Zwei virtuose Kadenzen der Solo-Percussion, aber auch eine längere Passage, bei dem das Orchester allein spielt, in die schließlich die Solo-Percussion ganz zart Crotales- und Mokusho-Wendungen tupft, werden vorgestelltgebündelt durch eine werkeigene Dramaturgie und ein reduziertes musikalisches Material, das in mannigfaltiger Gestalt auftritt.

 

Dieses Werk ist den wunderbaren Interpreten Christoph Sietzen und Franz Welser-Möst (dem musikalischen Leiter des Cleveland Orchestra) in tiefer Verbundenheit gewidmet.

(Johannes Maria Staud)